Welche Auswirkungen hat ein milder Winter auf die Vogelwelt?

Ein Bericht von Prof. Dr. Martin Kraft

Welche Auswirkungen hat ein milder Winter auf die Vogelwelt?

Vögel können grundsätzlich rasch auf kurzfristige Wetterereignisse reagieren, auch auf milde, normale oder strenge Winter. In den Medien liest man, dass die Winter in der letzten Zeit tendenziell milder geworden seien, aber ist das wirklich so?

Wenn wir uns die Jahre seit 2009/2010 heraussuchen, dann stimmt diese Aussage gar nicht, denn 2010 hatten wir einen strengen und schneereichen Winter, dann folgten normale Winter, 2012/2013 war der Winter nicht nur sehr kalt und schneereich, sondern zog sich auch bis weit in den März hinein, während 2013/2014 ein sehr milder Winter folgte. Der Winter 2014/2015 war dann wieder normal, aber es herrschte Anfang Januar Kälte und Schnee, 2015/2016 war dann wieder normal, 2016/17 zunächst recht mild, jetzt im Januar 2017 ist der Winter aber bitterkalt und auch in vielen Regionen sehr schneereich. Als Referenz zur oben gestellten Frage nehmen wir uns den Winter 2013/2014 vor, denn der war sehr mild.

Milde Winter führen zu längeren Verweildauern von Vögeln, die normalerweise schon im Oktober abgezogen sind. Einige Arten versuchen sogar zu überwintern, wovon beispielsweise Silberreiher, Kraniche, Rotmilane, Kiebitze, Ringel- und Hohltauben, Hausrot¬schwänze, Saatkrähen, Dohlen, Sing-, Mistel- und Wacholder-drosseln, Stare, Mönchs¬grasmücken, Zilpzalpe, Sommergoldhähnchen, Feldlerchen, Wiesenpieper, Bachstelzen, Stieglitze, Bluthänflinge und Rohrammern betroffen sind.

Bleibt ein Winter also durchgehend mild, kommt es zu Überwinterungen, die bei den genannten Arten nach Auswertung langfristiger Statistiken tendenziell deutlich zugenommen haben. Das hat selbstverständlich viele Vorteile, denn den Vögeln steht ein merklich größeres Zeitfenster zur Verfügung, um ihr Brutgeschäft zu erledigen. Sie fangen also früher mit dem Brüten an und können überdies Mehrfachbruten tätigen. Das wiederum kann zu deutlichen Anstiegen der Populationen führen, wenn die Nahrungsbedingungen stimmen und die Konkurrenzsituationen dieses erlauben.

Das jeweilige Wetter und langfristige Klima ist ein wichtiger Faktor bei der Steuerung dieser dynamischen Prozesse, doch muss das Wetter mit den besten Nahrungsangeboten positiv korreliert sein. Das ist es leider in unserer offenen Kulturlandschaft nicht, denn es werden nach wie vor große Mengen an Pestiziden ausgebracht, Monokulturen und einseitige Fruchtfolgen angebaut. Dieses Faktum führt zu einem deutlichen Rückgang der Bio-Diversität, also der biologischen Vielfalt, deren Abnahme sich vor allem bei den Insekten und Vögeln, aber auch bei anderen Tier- und Pflanzenarten äußert. Wir sehen also, dass das Ganze ein vielschichtiges Problem ist, welches uns Naturschützer veranlasst, sinnvolle Maßnahmen zur Beeinflussung dieser negativen Auswirkungen zu ergreifen. Dazu zählen die Schaffung neuer und die Erhaltung wertvoller Lebensräume mit einem bunten Mosaik von Habitatstrukturen, die Ausweisung von Natur- und Landschaftsschutzgebieten, die Umwandlung von Ackerflächen in Grünland, die Duldung von Brachflächen aller Art, Informationsveranstaltungen mit Überzeugungskraft bei intensiv wirtschaftenden Bauern, die Förderung biologischer Landwirtschaft und mehr Ökologie in der Forstwirtschaft, aber auch das Aufhängen von Nistkästen aller Art sowie sinnvolle Fütterungen der Vögel sowohl innerhalb der Ortschaften wie auch in ausgewählten Bereichen der offenen Kulturlandschaft.

Mit diesen und weiteren Maßnahmen können wir massiv dazu beitragen, dass die wetter- und klimatisch bedingten positiven Veränderungen in der Vogelwelt nicht gestört oder gar gebremst werden, weil die notwendigen Lebensräume und ein ausreichendes Nahrungsangebot fehlen. Wir haben es demnach in der Hand, diese wichtige Unterstützung der Vogelwelt zu garantieren, wobei es letztlich egal ist, ob die Winter mild oder streng sind! Je mehr biologische Vielfalt wir schon im eigenen Garten, aber auch in ausgeräumten Landschaften fördern und neu schaffen, desto günstiger wirkt sich das langfristig auf die komplizierten Wechselwirkungen und Beziehungsgefüge zwischen Pflanzen und Tieren in den unterschiedlichen Biotopen und Öko-Systemen aus. Am Beispiel des teilweise starken Rückgangs der Bienen können wir leicht ersehen, dass auch wir Menschen von eben dieser biologischen Vielfalt enorm abhängig sind!

Prof. Dr. Martin Kraft